Wo sind all die schnellen Läufer?
Silvesterlauf Weilimdorf 2019
Jetzt musste ich fast 50 Kurzstreckenrennen und genau 8 Silvesterläufe absolvieren, um im 19. Läuferjahr endlich einen Altersklassensieg auf einer Langstrecke feiern zu können. Jetzt mag man kritisieren, dass es sich ja nur um den Einsteigerlauf über 5.555 m in Weilimdorf gehandelt habe, die wirklich schnellen Läufer im Hauptlauf am Start gewesen seien, aber die schnellste Zeit von 43:19 min in der M50 im Hauptlauf wären wohl auch nicht unschlagbar gewesen (vor 3 Jahren hatte ich sie unterboten)
Jetzt fühlt sich so ein Ergebnis im ersten Augenblick schon gut an, doch schon noch kurzer Zeit drängte sich mir die Frage auf, wo denn all die schnellen Läufer hingekommen sind, die mir früher regelmäßig das Nachsehen gegeben haben? Bei einem Silvesterlauf (zugegeben, an unterschiedlichen Orten) war ich noch nie auf dem Podest, bei meinem schnellsten Silvesterlauf 2017 (9,6 km - 36:26) war ich gerade mal 10. meiner Altersklasse. Jetzt bin ich in den letzten Jahren ja nicht schneller geworden, im Gegenteil. Ich habe mich zunehmend auf die langen Distanzen konzentriert und bin Kurzstrecken (bis 11 km) immer nur ohne spezielle Vorbereitung gelaufen. Und trotzdem werden die Platzierungen immer besser. War ich vergangenes Jahr bei den Mannschaftsmeisterschaften noch zwei Mal Dritter, reichte es nun tatsächlich erstmalig zum Sieg.
Entwicklung der sub40min-Läufer (Bietigheim 1995 - 2019)
Ich will es genauer wissen, lande im Archiv des Silvesterlaufs in Bietigheim. Dort wird seit 1981 gelaufen und die Ergebnisse sind vollständig dokumentiert. Ich habe die Ergebnisse von 2019 zurück bis 1995 analysiert, in der Hoffnung, dass in der Zeit immer die gleiche Strecke gerannt wurde, auch wenn ich mir bewusst bin, dass gerade an Silvester die Witterungsbedingungen stark schwanken können. Da sich auch die Teilnehmerzahlen in den letzten Jahrzehnten stark veränderten, habe ich mir nicht nur die absoluten Zahlen angesehen, sondern auch abhängig von der Teilnehmerzahl betrachtet. In Bietigheim werden wie in Weilimdorf 11 km gelaufen, ich habe mir die Zeiten der Herren angesehen (Siegerzeit; Zehnter; Anzahl Läufer unter 40 min, 45 min. und 50 min). Im Ergebnis hat sich meine Ursprungsfrage verstärkt:
Wo sind all die schnellen Läufer hin?
Entwicklung der sub45min-Läufer (Bietigheim 1995 - 2019)
Die Siegerzeiten sind über die Jahre konstant geblieben, lagen im Schnitt knapp unter 33:00 min., wobei die schnellsten Zeiten aus den frühen 2000er-Jahren stammen. Ähnlich sieht es mit der Zeit des jeweils Zehntplatzierten aus. Die langsamsten Zeiten stammen beide Male aus dem Jahr 2012, das mag also witterungsbedingt gewesen sein. Silveter 2012 schneite es wohl.
Signifikant werden die Zahlen erst, wenn man betrachtet, wieviele Läufer es schafften, in weniger als 40 min. ins Ziel zu kommen. Waren es 1995 noch 75 Läufer, 2002/2003 gar 119 bzw 91 Athleten, genügt seit 2011 ne sub 40 um in den Top 50 zu landen, seit 2016 schafft man es damit regelmäßig sogar in die Top 40.
Bei den Sub 45 min. bzw. sub 50 min. ist der Trend der Gleiche. Bis 2004 waren nach 45 min. mindestens 10 % und nach 50 min. sogar ein Drittel der Läufer im Ziel, seit 2014 schaffen das keine 7 % bzw. kaum mehr 20 % aller Starter.
1995 gab es 1362 Finisher, 2019 2404; trotzdem schafften es damals wesentlich mehr Läufer innerhalb meiner untersuchten Zeitgrenzen ins Ziel als heute. Seit damals hat sich Laufen angeblich zum Volkssport entwickelt. Firmenläufe boomen und schaffen Anreize mit dem Laufen einzusteigen oder das Training zu intensivieren. Jedes Wochenende findet eine Vielzahl an Laufveranstaltungen statt, doch der Trend sagt: Wir werden immer schlapper! Weshalb ist das so?
Klar, meine Zeitgrenzen von 40 min. und 45 min. für 11 km sind ambitioniert, aber 50 min. sind machbar und ich wollte meine Analyse nicht von den zahlreichen "Spaßläufern" verfälschen lassen, die 2002 bis 2015 regelmäßig für ein Teilnehmerfeld von mehr als 2400 Läufern sorgte. Augenblicklich ist der Trend leicht rückläufig, was aber auch daran liegen mag, dass mittlweile auch wieder mehr Veranstaltungen um die Gunst der Läufer buhlen, beim nicht gezeiteten Silvesterlauf hoch zur Burg Teck sind auch schon regelmäßig mehr als 500 Läufer unterwegs. Es gibt also bestimmt so etwas wie einen Laufboom, weshalb der aber nicht in der breiten Spitze ankommt; das stimmt mich nachdenklich.
Ist es die Vernunft oder macht es keinen Spaß mehr, sich zu quälen, am Ball zu bleiben, Ziele zu formulieren und zu verfolgen? Ich kann es nicht sagen, finde keine Antwort.
Entwicklung der sub50min-Läufer (Bietigheim 1995 - 2019)