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Ich bin Albtraufgänger

Ein Tag voller Trailgenuss
Schon häufiger war ich im Abtrauf unterwegs, meistens jedoch zum Wandern oder  Walken. Als ich aber in der Zeitung las, dass die rund 100 km lange Strecke  nicht nur zum Qualitätswanderweg, sondern sogar zum „Leading Quality Trail –  Best of Europe“ ausgezeichnet wurde, stand für mich fest: Das Ding will  erlaufen werden!

In der offiziellen Fassung besteht der Albtraufgänger  aus 6 Etappen, doch als Ultraläufer sind 100 km kein Ding der  Unmöglichkeit, trotz der angegebenen rund 3500 Höhenmeter. Nach einem Blick in  den Terminkalender war der erste Termin schon gefunden: Der "schnelle 54er" beim  Stromberg-extrem wurde gestrichen, dafür kam der Albtraufgänger auf den Zettel.  Da das 1. Maiwochenende leider etws verregnet war, verschob ich den Start auf  ein paar Tage später. Da versprach der Wetterbericht aufkommenden Sonnenschein  und Temperaturen von rund 20° C, also perfekte Bedingungen.

Der leichte  Rucksack war am Vorabend schnell gepackt. Die obligatorische Regenjacke, ein  wenig zu Essen (Nussmix, Datteln) und 2 volle Flaschen. Zumindest bei der  Flüssigkeitsaufnahme würde ich gezwungen sein, mich unterwegs zu versorgen.  Wasser für einen ganzen Tag kann und will ich nicht schleppen, also muss ich  eben möglicherweise kleine Abstecher zum Auftanken in Kauf nehmen. Schwer mache  ich mir die Entscheidung "herkömmlicher Antrieb oder Allrad", lasse letztendlich  die Stöcke im Auto, eine Entscheidung, die ich wohl ab und an bereuen werde.

Die ersten Kilometer  kenne, bzw. erkenne ich schnell wieder, hier war ich im vergangenen Jahr schon  walkend unterwegs. Der wunderschöne sanfte Anstieg über grüne Wiesen, eingerahmt  von steilen Hängen, entlang der Fils bis zu ihrer Quelle ist der perfekte  Einstieg in den Tag. Warmlaufen vor den steilen Bergen, wobei warm zu werden gar  nicht so einfach ist. Noch dringt die Sonne nicht bis in den Grund des Tales und  die morgentlichen Temperaturen sind durchaus zum Frösteln geeignet. Noch machen  breite Fahrwege das Laufen einfach, doch das Talende nähert sich unerbittlich  und ein Schwenk führt mich auf steilen Trails hoch auf den Albtrauf.

Albtrauf bezeichnet übrigens den Steilabfall der Schwäbischen Alb. Das Wort  "Steilabfall" wird sich mir heute noch ins Gedächtnis brennen, vor allem dann,  wenn ich den Steilabfall mal wieder schnaufend erklimmen muss.

Doch erst  mal ist alles easy, ein Asphaltstück gibt Gelegenheit, Meter zu machen und die  herrlich blühende Umgebung wiegt den eher faden Untergrund locker wieder auf.  Doch plötzlich biegt der Weg ab, ein Trail, schmal, verwinkelt, immer an der  Kante entlang führt mich nordwärts, immer wieder den Blick gen Westen öffnend,  wo der Albtrauf steil abfällt in die Ebene, die gespickt mit ein paar Spitzen  vulkanischen Ursprungs, den Blick öfnet bis fast ins 50 km entfernte Stuttgart.  Mir gefällt der Blick in die Ferne, sehe die Kaiserberge, die es beim  Albmarathon zu überwinden gilt, sehe das Ziel des Kirchheimer Silvesterlaufs,  die Burg Teck, dazwischen die gleichmäßig geformten grünen vulkanischen Gipfel.
Burg Reußenstein thront hoch über dem Tal direkt an der Kante, von der ich mich nie hinunterstürzen würde, anders als die Gleitschirm- und Drachnflieger vom unweit gelegenen Startplatz. Ich behalte lieber Bodenhaftung, was heute kein Problem ist, trotz der vielen Niederschläge der vergangenen Tage. Der Weg ist zu keiner Zeit ein Problem, nur selten matschig, an vielen Stellen sogar schon wieder staubtrocken.

Unweit des Naturfreundehauses stürzt sich der Weg in steilen Pfaden hinunter ins Tal. Am Deutschherrenhaus haben Wanderer die erste Etappe geschafft, ich halte mich hier allerdings keine Sekunde auf, mein Tagwerk ist noch lange nicht geschafft.

Die Autobahn A8 fast immer in Hörweite geht es weiter Richtung Nordost, der Aichelberg muss umrundet werden, der markante Zipfel am Rande der Alb, Autofahreren leidvoll bakannt von vielen Staumeldungen, heute für Technikfreaks interessant durch den nahen Eingang zum Boßlertunnel, der künftig Bahnreisende bequemer und schneller den Albtrauf hinauf oder hinunter bringen soll.
Mich fasziniert aber viel  mehr der blühende Bärlauch, der mich seit geraumer Zeit betörend riechend  begleitet und meine Pfade, egal ob schmal oder weiter, säumt und die Waldböden  flächendeckend in bezauberndes grün-weiß hüllt. Stundenlang wird dies so  anhalten, bis mich der grasbewachsene Burren erlöst, vom mittlerweile betäubend  duftenden Heilkraut.

Vom Aichelberg genieße ich noch einmal die Aussicht  - hinterlasse im Gipfelbuch eine Nachricht für Andreas und Frank, die den  Albtraufgänger ebenfalls in Angriff nehmen wollen, und ziehe von dannen, in  vielen Windungen und Schleifen fast genau Richtung Osten. Wanderer und  Walkerinnen kommen mir entgegen, erst jetzt bemerke ich, dass ich bislang nahezu  alleine unterwegs war. Dem Kurort Bad Boll ist die verstärkte Aktivität  vermutlich zu verdanken, viele Walkingstrecken durchziehen die Gegend, es tut  gut, die vom stundenlangen Trab nach innen gekehrten Gedanken endlich mal wieder  öffnen und das zumindest kurze Gespräch suchen zu können. Doch lange halte ich  mich nie auf, zu sehr treibt mich der Respekt vor der langen Runde vorwärts,  kann ich doch nur schwer abschätzen, wie lange ich heute unterwegs sein werde.  Und Stirnlampe habe ich keine in meinem Gepäck. Auch ein "Plan B" fehlt, eine  Abkürzung etwa oder das Wissen, wie ich bei einem Abbruch meiner Tour zum  Ausgangspunkt zurückkommen könnte. Damit habe ich mich ehrlich gestanden gar  nicht befasst.
Mittlerweile steht die Sonne schon ordentlich hoch über  dem Horizont, die Temperatur steigt, mein Wasserverbrauch ebenfalls. Wasser direkt  von der Strecke zu schöpfen ist gar nicht so einfach, die vollmundig  ausgeschilderten Lokalitäten haben so früh am Morgen noch gar nicht geöffnet,  schon gar nicht unter der Woche. Und allzu viele Ortschaften durchquert der  Albtraufgänger nicht, was für den Wanderer wohl angenehm, für den Durstigen bzw.  Hungrigen doch eher unschön ist. Erst in Grünenberg nutze ich die Gelegenheit,  meine mittlerweile erschöpften Reserven wieder aufzufüllen. Gestärkt nehme ich  eines der Highlights der Strecke in Angriff, die Überquerung des Burren. Das  Nähkissen wird er auch genannt, in
Frankreich würde man wohl "Ballon" sagen.  Untypisch für diese Gegend ist der mit Gras überwachsene Hügel, und eine  wunderschöne Aussicht bietet er in praktisch alle Richtungen. Und er ist der  perfekte Ort fürs "Bergfest", rund 50 km liegen nun hinter, aber auch noch vor  mir.

Nach kurzer Pause geht es weiter, bei Gingen überquere ich die B10,  ohne Ampel Freitag nachmittag praktisch unmöglich. Meine Schwächephase am  heutigen Tag erlebe ich dann auf dem Panoramaweg Richtung Geislingen. Heiß  brennt die Sonne, der Waldboden hier ist staubtrocken, trotz des Regens der  vergangenen Tage. als ich dann in Geislingen unten im Tal keine  Einkehrmöglichkeit entdecke, ist die Stimmung kurz im Keller. Das  Schützenhaus... geschlossen, das Vereinsheim... geschlossen, das Sängerheim...  nicht geöffnet. Doch der erneute Aufstieg auf die Albhochfläche baut mich wieder  auf. Das immer enger werdende Tal mit wild aufgehäuftem Schneebruch, die Leitern  hoch über die Felsen, meine
Aufmerksamkeit gehört wieder meiner Umgebung und  nicht mehr mir selbst.
Ich quere die Hochfläche, blicke wenig später von der Burgruine Helfenstein erneut über die 5-Täler-Stadt Geislingen und bin nach wildem und steilem Serpentinenabstieg unvermittelt in der Altstadt. Endlich gönne ich mir meine ersehnte längere Pause. 20 Minuten später bin ich gestärkt und voller Elan wieder unterwegs. Der ist auch nötig für den "Sturm der Schildwacht". Während sich oben am Ostlandkreuz Jugendliche ihren Jägemeister mit Fanta mixen, bleibt mir nur ein kurzer Blick ins Tal, ein Schluck aus der Wasserflasche und der schnelle Schritt über die Hochebene. Gut 11 Std. und 80 km stehen jetzt schon auf der Uhr. Die angepeilten 13 Std. sind nicht zu schaffen, aber die Zuversicht, die Runde zu schließen ist groß. Es geht an der Hangkante entlang und später dann hinunter ins Autal. Während ich die Wasserfälle bewundere, verabschiedet sich meine Uhr Knapp 12 Stunden hat der Akku durchgehalten, jetzt ist Schluss. Von nun an muss ich mich auf die - zugegeben hervorragende - Beschilderung verlassen. Entsprechend aufmerksam laufe ich weiter. Jetzt, nach mehr als 12 Stunden Weg tut jeder Meter Verlaufen zusätzlich weh. Fast geradewegs bringt mich mein Pfad bei Aufhausen wieder in die Höhe. Oben angekommen spüre ich frische Energie in den Beinen, nehme Fahrt auf. Kaum zu glauben, dass ich jetzt noch über die Höhen fliegen kann, doch es klappt.  
Am Kloster Ave Maria den Kreuzweg hinunter, unten an der Quelle eine der wenigen Möglichkeiten, ohne Umweg frisches Wasser zu bekommen. Ein letzes Mal fülle ich die Flaschen, hier beginnt auch für Wanderer die letzte und kürzeste Etappe. Allerdings endet der Albtraufgänger bereits einige Kilometer vor Wiesensteig in Gosbach, den Kreis schließt der knapp 6 km lange Goißatälesweg, den man mitnehmen muss oder auch nicht. Doch so weit bin ich noch nicht. Von der Ave Maria muss ich noch einmal hoch auf den Albtrauf, bevor ich in Bad Ditzenbach ein letztes Mal hinunter ins Filstal spuren kann. 1,5 km nach Gosbach, ein Klacks, ein Genuss, eine Wonne... ich bin Alb-Draufgänger!

Ich habe den Abtraufgänger vollendet, würde jetzt gerne per Anhalter zurück nach Wiesensteig. Doch offensichtlich ist der hochgehaltene Daumen nur noch im Zusammenhang mit den sozialen Medien ein Begriff, niemand hält an, um einen erschöpften Draufgänger einzusammeln. Bleibt mir nichts anderes übrig, als mein Glück erst mal selbst in die Hand zu nehmen. Geschenkt, die letzten 2 km gehts dann doch noch bequem, als Ausgleich für die zusätzlichen Kilometer, die ich mir heute gegönnt habe, am Naturfreundehaus zum Beispiel, als ich den Abzweig verpasste oder nur 2 km später, als ich beim Gang in die Büsche meine Kamera liegen lies.
Wie fühlt es sich an nach so einer langen Tour? Probiert es aus, das müsst ihr selbst spüren. Von Müdigkeit oder Erschöpfung ist erst mal überhaupt nichts zu spüren, eher Durst, ich habe Durst ohne Ende. Ansonsten verspüre ich nur eine stille, in mich gekehrte Zufriedenheit.
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