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Rodeo am Glockner

Reif zur Legendenbildung - Der Großglockner-Ultratrail
  • Den Brugger - in Führung liegend - abgeworfen...
  • Thomas - Wunden leckend zurückgefallen...
  • Andi - freiwillig ausgestiegen...
  • Doch der Ultra-Habicht rockt noch!
Rocken? Ja, zumindest jetzt wieder, wo es hinunter geht, fast 2000 Meter tief von der Schmiedinger Scharte ins nahe Kaprun, wo "meine Fans" warten und vor allem die warme Dusche, trockene Klamotten und ein gemütliches Bett.
Ich werde letzter werden - definitiv
Damit hätte ich zum jetzigen Zeitpunkt meiner Karriere nie gerechnet: Ich werde  definitiv Letzter werden. Am Alpincenter bekam der kleine Haufen Versprengter  die Info, dass das Rennen hinter uns abgebrochen sei. Wir werden gefragt, ob wir wüssten, ob noch Läufer hinter uns sind. Das können wir zwar nicht mit Sicherheit ausschließen, vermuten es aber stark. Seit ich vom Alpincenter weg  bin, regnet es in Strömen, nein, es schüttet wie aus Eimern. Der Pfad hinunter ins Tal verwandelt sich in einen Sturzbach, an mir hängt kein einziger Fetzen  trockenen Stoffs mehr. Aus meinen Schuhen - ich hatte mich zum Glück für die Gore-tex-Version meiner Dynafits entschieden, quillt mittlerweile bei jedem Schritt schäumend das Wasser. Doch ich laufe, wie wenn ich gerade erst gestartet  wäre; keine Muskelschmerzen, kein Hunger, kein Durst... mein Hypothalamus versorgt mich mit Endorphinen satt, spät, doch immerhin bin ich im Flow, hänge meine Begleiter ab, als wären sie Statisten. Dabei haben sie allesamt nur den  "kleinen Trail" mit 50 km in den Beinen. Ich bin der letzte Cowboy hier, der den "großen Bullen" reitet. Deshalb bin ich mir auch sicher, dass ich heute Letzter werde!

Letzter? Ja! Hammer! Tränen kullern meine Wangen hinab, sofort weggewaschen vom Regen. Es sind Tränen der Freude, Tränen des Stolzes, ein Ausdruck der Befriedigung, dass ich es geschafft habe. Hier, fern jeder Beobachter, gönne ich mir diese Emotionen. Wer mich sonst erlebt, kann sich das vermutlich gar nicht von mir vorstellen, zu kühl und nüchtern muss ich wohl auf viele wirken, so lesen sich vermutlich auch meine Berichte: Immer schön sachlich analysierend.

Dass mich ein letzter Platz dann plötzlich so aus der Bahn wirft? Dafür muss viel passieren! Gelte ich doch als kampferprobt und erfahren, habe den Chiemgauer, den UTMB und was weiß ich noch auf dem Kerbholz. So jemanden haut doch so schnell nichts aus den Socken.

Was ist also geschehen?
Die Chronik des GGUT - Nackte Zahlen, doch aussagekräftig!
110 km lang und mit 7000 Höhenmetern gespickt, geht es einmal um den  Großglockner; von Kaprun im Norden nach Kals im Süden und wieder zurück!
Start: Freitag um 18 Uhr
Zielankunft der Ersten erwartet gegen Samstag um 8 Uhr, also nach 14 Stunden.
Ich rechne bei mir eher vorsichtig mit 24 Stunden; noch immer wirken die Erlebnisse vom Hochkönigman in mir.

Die 7000 Höhenmeter verteilen sich im Wesentlichen auf 5 Anstiege:
  • Bei der Querung nach Fusch sinds 700 Höhenmeter zum warm werden.
  • Zur Unteren Pfandlscharte sind rund 1800 Meter zu bezwingen, warum das Ding "Untere" heißt? An eine "Obere" will ich gar nicht denken...
  • Vom Glocknerhaus zur Glorerhütte sinds rund 600 Meter Höhendifferenz, dabei lässt das grobe Profil die vielen kleinen Kräfte zehrenden "Sägezähnchen" mal einfach außer Acht.
  • Ich hätte sie wohl auch gar nicht beachtet, angesichts der 1200 Meter, die zwischen Kals und der Rudolfshütte liegen.
  • Final dann der Angriff auf die Schmiedinger Scharte, jeder Finisher wird sie eindrücklich in Erinnerung behalten, vor allem, wenn er sich wie so viele schon am Kleetörl ganz oben wähnte, um hier zu erfahren, dass jetzt erst mal noch 200 Meter halsbrecherischer Abstieg zu bewältigen wäre, um dann, ja dann "hinter dem Schneefald da drüben" die letzten 600 Höhenmeter steil rechts hoch zu bewältigen wären. "Aber ihr habt ja schon so viel geschafft, dann ist das auch nicht mehr schlimm..."
  • Der eifrige Leser wird bemerken, dass noch satte 2000 Höhenmeter fehlen. Die liegen irgendwo auf der Strecke, in den mehr oder weniger kleinen Auf und Abs der Strecke, jedes Mal sensibel registriert in der Wadenmuskulatur und/oder im heftig steigendem Puls.
Renntaktik: Theorie und Praxis!
Langsam will ich es angehen diesmal, nur das Ankommen zählt. Ich weiß, dass  mir ein hochalpines Profil nicht entgegen kommt, da können mich gute Resultate  bei den Trails in den Mittelgebirgen nichts mehr vortäuschen. Trotzdem bin ich  zu gerne in den richtigen Bergen unterwegs, als dass ich mich nur noch auf das  reduzieren wollte, was ich gut kann.
Und anfangs klappt auch alles recht gut, obwohl schon beim Übergang nach Fusch das schwülwarme Wetter erste Körner zieht. Fast noch 30 Grad zeigte das  Thermometer am Start, die Luft ist gesättigt mit der Feuchtigkeit, die die Sonne  im Verlauf des Tages aus den gewitternassen Wäldern gesogen hat. Immer vorsichtig sein, nicht zu viel verausgaben. So ganz kann ich den Vorsatz dann doch nicht einhalten. Zu sehr beunruhigen mich die Ansagen beim Briefing. Detailiert werden die Pläne im Falle eines zu  erwartenden Gewitters am Samstag nachmittag ausgebreitet, von einer Vorverlegung des Cut-offs ist die Rede, von bereit stehenden Bussen. Es beruhigt mich zu wissen, dass die Organisation gerüstet scheint, es beunruhigt mich aber auch, offensichtlich rechnet man hier vor Ort sehr stark mit einem Rennabbruch.
Kurz vor dem Aufstieg zur Pfandlscharte setzt die Dämmerung ein. Mir wird  weich in den Knien. Zu steil, zu weit zieht sich die Lichterkette nach oben,  fließend übergehend ins Firmament der Sterne, die bereits am teils wolkenlosen Himmel leuchten. Können die Ersten schon so weit sein? Kann es tatsächlich sein,  dass es hier so steil ist? Unfassbar!

Unfassbar auch, dass ich irgendwann ebenfalls dort oben stehe, noch  unfassbarer, dass ich dann tatsächlich noch auf eine schier unendlich lange  Lichterkette bis fast hinunter ins Tal zurückblicken kann. Dabei hat sich der  Berg gewehrt, mit schier unbändiger Kraft und Kälte hat sich mir der Wind entgegengestellt, angesaugt vom entstehenden Vakuum der aufsteigenden warmen  Luftmassen im Tal.

Abseilen ins steile, schwarze Nichts, anders ist der Abstieg von der  schneebedeckten Scharte nicht zu bewältigen. Mulmig ist mir, doch mutig ergreife  ich das gereichte Seil, nur nicht nachdenken. Mit Spaß und Genuss hinunter zum  Glocknerhaus, der Verpflegung entgegen. 6 1/2 Stunden, knapp 35 km, das ist in  Ordnung. Nicht in Ordnung findet mein Magen, was ich ihm anbiete. Kaum ums  Glocknerhaus gebogen, ergießt sich mein Mageninhalt in hohem Bogen über den  Abhang. Mir ist nicht übel, ich spüre auch nicht die sonst typischen Schwäche, doch mir ist klar, dass der Abschnitt bis nach Kals brutal werden wird. Den leerem gereizten Magen beruhigen, gleichzeitig die schwierige Strecke bewältigen. Der Ritt beginnt, der Bulle versucht, mich abzuschütteln.
Durchhalteparolen
Mit allen Tricks klammere ich mich fest, halte mich im Rennen, mache Pausen,  wenn Mitstreiter an mir vorüberziehen, lenke mich ständig von meinem Inneren ab,  wobei mir die am Weg aufgestellten Petroleumlampen helfen, indem sie mich in der  Ferne leuchtend, einerseits als Fixpunkt magisch anziehen, andererseits demütig  klein werden lassen, angesichts der vorherzusehenden gewaltigen Entfernungen,  die noch vor mir liegen.

Auf der Glorerhütte treffe ich Andreas, der wegen anhaltender Atemprobleme  beschlossen hat, auf der Hütte zu nächtigen. Er spendiert mir eine Cola, ich  selbst habe kein Geld mit. Philipp gesellt sich zu uns, in Führung liegend ist  er auf der Salmhütte ausgestiegen; der Bulle zeigt seine Macht.
Downhill von der Glorerhütte hinunter nach Kals, ein Kinderspiel? Denkste! Nur verblocktes Geröll, glitschig und wackelig; der Schein der LED Lenser findet nur mühsam Schritt für Schritt den Weg darüber hinweg, ein aufgeschlagenes Knie bleibt Andenken an diesen Abschnitt, doch ich halte mich im Sattel, bin froh, endlich die Serpentinen hinunter nach Kals cruisen zu dürfen, so lange bis die Knie schmerzvoll stöhnen und der Wille fast gebrochen ist. Warum nur führt der Weg zu Verpflegung über Treppen, einige wenige nur, doch sie machen mir mehr als deutlich, welche Spuren die erste Hälfte der Runde bereits hinterlassen haben.

Die Nudelsuppe tut gut, weckt verloren geglaubte Lebensgeister. Trotzdem gebe ich mir Zeit, bleibe eine gute halbe Stunde. Dazu erwartet mich erst mal der wohl leichteste Abschnitt des Tages. Immer wieder ebene Passagen oder auch nur leicht ansteigende, endlich mache ich Meter. Dazu die gigantische Netur des tief in den Fels geschnittenen Kalserbachs. Schade, dass es gerade jetzt zu regnen beginnt. Pause hinter dem Dorfersee, von hinten rollen die Führenden des in Kals gestarteten 50-km-Trails heran. Mit beeindruckender Speed brettern die Typen an mir vorbei den Steilhang hoch. Na gut, ich hab schon über 4000 Höhenmeter in den Beinen, das macht was aus. Doch ich lasse mich mitreißen und mit der Menge über den Grat spülen, wie unwirklich steht die Rudolfshütte über dem Weißsee, bildet das nächste Ziel... Pause! Erholung! Essen! Motivation schöpfen!     
Gletscherwelten
Staunen! Wir laufen durch die Welt der Gletscher und Stauseen. Eugen, Uwe und ich haben uns gefunden und bilden nun ein Team auf Zeit, teilen unsere Erfahrungen und begeistern uns über das Geschenk, diese Stunden hier erleben zu dürfen. "Es wechselt Lust und Pein..." soll schon Goethe geschrieben haben. Wie Recht er hatte. Doch auch er ist ja über die Alpen gezogen, könnte bestimmt mit uns fühlen.

Als er über "die Pein" geschrieben hat, muss er die Strecke um den Wurfbach im Kopf gehabt haben, ein wahrer "Knochenbrecher-Trail", am Steilhang entlang. Lustgewinn am herrlichen Wasserfall des Schrambachs, bezahlt mit der Pein für den Aufstieg zum Kleetörl. Wer von uns hat nicht gedacht, er wäre jetzt schon über die Schmiedinger Scharte. Da hilft auch der angebotene Traubenzucker nicht, zur Scharte sind es noch aberwitzig steile 200 Meter hinunter in die Senke und dann wieder hinauf auf über 2700 Meter zum Dach der Tour. Dunkle Wolken liegen im Kessel, plötzlich ist es kalt und ein Frösteln überzieht meine Haut. In Sekundenschnelle verschwinden wir im Nebel, kann ich den Weg nur noch erahnen, hinauf, in immer steiler werdenden Serpentinen.    
Die ersten Regentropfen fallen, der Wind frischt auf, mit der Feuchtigkeit kriecht die Kälte in die Glieder. Die Schmiedinger Scharte fordert den ganzen Einsatz. Ich benötige meine Hände und Füße, um diesen allerletzten Berg zu bezwingen, dann stehe ich oben, im Nebel, keine Lust, auszuharren. 15 min. bis zum Alpincenter, nicht zu verfehlen, wird unserer kleinen Truppe gesagt, die sich am Berg gefunden hat.

Schon zu verfehlen! Der Track stimmt nicht ganz, der Weg ist nicht zu finden, wir irren über die kahlen Pisten, mit Mühe nur erreichen wir unsere letzte Verpflegung. Ob wir die Letzten sind, werden wir gefragt. Das Rennen sei abgebrochen, niemand wäre mehr über die Schmiedinger Scharte gelassen worden. Wir können es kaum glauben. So schlimm war es bislang eigentlich nicht, bislang. Wie auf Kommando dreht der Regen und Sturm auf Vollgas, treibt eine Gruppe Touristen aus Nahost mit einem Wisch wieder zurück in die Bergstation, uns zurück auf die Strecke. Es wird Zeit, Schluss zu machen. Als Letzter verlasse ich den Alpincenter und nehme Fahrt auf. Mein Energielevel steht plötzlich wieder bei 100 Prozent. Konzentriert bis in die Haarspitzen, voller Energie cruise ich hinunter ins Tal. Mein Kopf kreiselt ebenso. Kann es tatsächlich sein, dass ich Letzter werde? Kann es!

Um mich herum nur noch Läufer der kurzen Distanz. Einen nach dem anderen lasse ich hinter mir. Ich bin voll Adrenalin, Tränen der Freude laufen über mein Gesicht. Manchmal ist selbst der Letzte ein Sieger. Wichtig ist, wie du dich fühlst. Und ich fühle mich großartig. Den Regen spüre ich nicht, ich bermerke nur, wie mir das Wasser mit jedem Schritt aus den Schuhen quillt. Der Downhill geht mit jedem Schritt mehr in einen Sturzbach über. Und irgendwann spült mich der Trail hinaus auf die Straße. Nur noch 5 km haben sie mir gesagt, lumpige 5 km, keine 30 Minuten mehr, so gut wie ich unterwegs bin. Wieder laufe ich auf einen Mitstreiter auf. Und ich kenne ihn, trotz der Regenklamotten. Es ist Eugen, 64, Südtiroler, ein irrer Typ. Ich bin einige Schritte heute mit ihm gegangen. Was soll ich jetzt tun? Platzt mein "Traum" vom letzten Platz?

Irre, jetzt hatte ich eine Stunde Zeit, mich daran zu gewöhnen und Spaß daran gefunden. Soll ich nun auf Kraft hinten bleiben? Soll ich gemeinsam mit Eugen ins Ziel gehen? Kurz überlege ich, doch die Antwort ist eigentlich klar:

Ich werde durchstarten! Selbst Letzter wird man ehrlich!
Auch Letzter wird man ehrlich!
Ich mache kurz halt bei Eugen. Ich frage ihn, ob es ihn stört, wenn ich an ihm vorbei ziehe oder ob wir gemeinsam ins Ziel sollen. Er schickt mich los. Ich bin dankbar. Ich werde erwartet und es ist nass, kalt, spät und ich will ins Ziel! Also gebe ich Gas. Der Weg ein Bach, doch das ist jetzt auch schon egal. Was soll noch nass werden? Die Minuten vergehen wie Sekunden, in Windeseile bin ich in Kaprun. Ein paar kurze Wellen lassen mich überdeutlich spüren, dass ich schon 7000 Meter gekrabbelt bin. Bergab, nehme ich dann wieder Fahrt auf.
Die ersten Häuser fliegen an mir vorbei. Von den Balkonen schüchterner Applaus. Ich winke zurück. Jede einzelne Anfeuerung geht runter wie Öl. Eine kurze Verschnaufpause, dann gebe ich Gas für den Endspurt, erhöhe das Tempo. Ein paar Kurven noch, dann bin ich da, sehe die Ziellinie. Unglaublich. Kein Lautsprecher empfängt mich, das Wetter hat wohl die Technik gekillt. Mir ists egal. Tina, "mein größter Fan", klatscht mich ab, hinter der Ziellinie wartet mein Schatz. Ich falle ihr in die Arme; ich bin da, geschafft.

In Sekundenschnelle ist mir kalt, mein Verstand ist wirr, die Gedanken fahren Achterbahn. Ich will weg, nur noch weg, sehne mich nach einer warmen Dusche. Ich bin vollständig durchnässt, emotional überwältigt. Erst nach Stunden taue ich wieder auf, erfasse die Ereignisse der letzten Stunden in voller Dimension. Es war ein unglaublicher Ritt, voller Eindrücke; es wird Wochen dauern, bis ich alles verarbeitet habe.
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