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Albtraum 100 - immer einen Schritt vor dem Abgrund!
Die neue Ultraperle inmitten der Schwäbischen Alb
Es war der 8. Mai 2015, ziemlich genau um 6:00 Uhr morgens, als ich mich auf den Weg machte, den Alptraufgänger zu erkunden. In der Zeitung hatte ich vom neuen Qualitätswanderweg gelesen und war neugierig geworden. Und da rund 100 Kilometer für einen Ultraläufer zwar anspruchsvoll, aber kein Hexenwerk darstellen, ging ich die Runde damals nonstop-solo an.

Einiges war damals anderes als in diesem Jahr; z.B. wies die Runde noch eine Lücke auf und so startete ich in Wiesensteig...

Doch ich will Euch nicht mit längst vergangenen Geschichten langweilen, wer sich für meinen Lauf damals interessiert, kann gerne hier nachlesen. Doch eines war mir damals schon klar:

Die Strecke ist wie geschaffen für ein Trailrennen!

Und mehr noch:

In den vielen einsamen Stunden entwickelte ich gedanklich schon ein fertiges Konzept für die Umsetzung!

Denn ich wusste, dass an der Seite der quirrligen Erlebnisregion Schwäbischer Albtrauf Unterstützer und Genehmigungen das geringste Problem sein sollten. Die Distanz, das Terrain, die Umgebung, alles wie geschaffen für eine Laufveranstaltung. Was mich gehindert hat? Stuttgart ist doch ein paar Kilometer entfernt und mir fehlte schlichtweg das nötige Netzwerk vor Ort, um eine solche Veranstaltung tatsächlich stemmen zu können. Doch bereits im Spätherbst quasselte ich beim Albtrauf-mini mit Andreas, dem offensichtlich damals schon die gleichen Gedanken durch den Kopf schwirrten wie mir und so freute ich mich jetzt um so mehr, dass die Idee in den richtigen Köpfen und vor allem richtigen Händen gelandet ist.
Ein Benefizlauf wie die Brocken-Challenge?
Ein Laufwettbewerb nach dem Vorbild der Brocken-Challenge (Link zu meinen Bericht 2017) sollte es werden. Ich bin froh, dass es keine Kopie geworden ist, denn die Brocken-Challenge (Veranstalter-Homepage) ist in meinen Augen unnachahmlich, lebt vom Spirit ihrer Akteure Markus "Didgeridoo" Ohlef, Andreas "Aschu" Schulze und Frank "Foodmaster" Kleinsorg, um hier nur die Köpfe zu nennen.

Und so war ich froh, das eher nüchterne Briefing eines Andreas Bulling zu erleben und trotzdem zu spüren, dass hier etwas entstanden ist, das Bestand haben wird und erleichtert, dass die Organisatoren offenbar nicht unter dem Druck der unglaublichen Resonanz zusammengebrochen sind. Denn welche deutsche Ultralauf- oder Ultratrail-Veranstaltung hat es bislang geschafft, über Distanzen von 57 bzw. 115 km aus dem Stand gut 160 Einzelstarter zu mobilisieren?
Ein Rückblick!
Kaum 24 Stunden nach dem Ende des Rennens ist das Netz schon voll von Berichten, Lobgesängen und vor allem Wortspielen auf den wirklich griffigen Namen "Albtraum". Da fällt es schwer, noch einen unabhängigen Bericht zu verfassen und nicht in die wiederkehrenden Lobeshymnen zu verfallen, selbst wenn diese berechtigt erscheinen. Ich reagiere mit einer Schreibblockade und entscheide mich, den Bericht erst einmal für ein paar Tage zur Seite zu legen. Und da ist ja dann "zum Glück" auch noch die DSGVO, die mir einiges an Zeit und Energie abfordert.

Deshalb hier nun ein Rückblick... knapp 2 Wochen nach dem Rennen:

Mühlhausen im Täle - 7:45 Uhr: Zum ersten Mal zeigt der Albtraufgänger seine Klauen. Was ist passiert? Ich führe eine größere Gruppe mit Markus, Erwin, Steffi und Dennis an. Gemütlich cruisen wir einen wunderschönen Waldpfad Richtung Wiesensteig, bis mir meine Uhr anzeigt, dass ich ganz sanft nach rechts vom Weg abweiche. Keine Sorge, das hat es die vergangenen Stunden schon mehrfach gegeben und immer wieder führte der Track auf den rechten Weg zurück. Nur diesmal nicht. Unausweichlich driften wir ab und die Hänge um uns herum werden ständig steiler und undurchdringlicher. Als ich erkenne, dass der Track in unerreichbare Ferne zu steuern droht, ist die Zeit zum Handeln gekommen; oder besser zum KRABBELN! Im weichen Unterholz steigen wir den steilen Weg hinauf, so steil, dass ich selbst auf allen Vieren stellenweise kaum vorwärts komme. Es ist ein echter Kraftakt, bis wir wieder auf der Spur sind; doch erst einmal muss der Puls wieder runter.

Dabei hatte alles so gut angefangen. Der neutralisierte Start in Geislingen pünktlich um vier Uhr, im Schein der Stirnlampen hoch zum Ostlandkreuz und dann in der Dämmerung am Albtrauf entlang das Filstal aufwärts. Ich lasse mich im Vorderfeld treiben und genieße den Sonnenaufgang, die herrliche Strecke und die vielen Lauffreunde um mich herum. Erwin ist mit dabei und drückt immer wieder auf die Tube; er hat sich heute etwas vorgenommen, das spürt man, aller Dementis zum trotz. Er trägt - keiner weiß weshalb, heute die Nr. 4 und das motiviert ihn sichtlich.

Cool, der kleine Abstecher zur Burgruine Hiltenburg, der mit ein paar wenigen zusätzlichen Metern einen herrlichen Blick über das Filstal garantiert, Weniger cool dann schon der Haken steil hoch zum Rufstein, den ich vor 3 Jahren noch nicht laufen musste. Gefühlt steigen wir hier nur hoch, um wenige Meter weiter wieder abzusteigen, doch dafür entlohnt uns der lockere Lauf durchs Schönbachtal hinunter nach Mühlhausen.

So war bis zu dem Zeitpunkt alles prima gewesen. Doch da ich mir für heute nur ein ordentliches Ankommen vorgenommen habe, will ich mich von unserem "kleinen Abstecher" nicht die Stimmung verderben lassen. Weiter gehts...
Verlaufen II
Meine Hände stinken nach Bärlauch, die Knie zieren scharze Streifen und Spinnweben umgarnen meine Waden!

Mühsam kämpfe ich mich mal wieder zurück auf den rechten Weg. Ich bin schon so weit abgedriftet, dass mir nur noch der Richtungsweiser meiner Ambit den geraden Weg zum nächsten Verpflegungspunkt anzeigt. Ich packe mir noch zwei kleine Blutsauger ein (doch das sollte ich erst 2 Tage später bemerken) und bin wieder zurück im Rennen. Jetzt steigt schon ein klein wenig Wut in mir hoch. Was ist passiert?

Nach Eckwälden durchlitt ich einen kleinen Durchhänger, musste erst Anja und Stephie ziehen lassen und zuletzt auch Erwin. Mit denen war ich seit Wiesensteig im losen Verbund unterwegs. Egal wer sich absetzte, irgendwie fanden wir an den Verpflegungspunkten immer wieder zusammen. Nun ist nur noch Markus an meiner Seite und als der zu schwächeln beginnt, fühle ich frische Energie in mir und gerate in einen herrlichen Flow. Erwin, der schon weit enteilt schien, rückt wieder ins Blickfeld, zwei Radfahrer scherzen mit mir und ich ...

Verlaufen!

Abgelenkt, unkonzentriert, egal!!!, umgedreht, zurückgelaufen, die nächste Abzweigung genommen und... noch immer nicht richtig. Egal, nach der Rechtskurve muss ich wieder in die Spur kommen. Doch mein Weg führt urplötzlich nach links. Noch mal umdrehen scheint keinen Sinn zu machen, also nehme ich die nächste Abzweigung nach rechts, die muss mich wieder auf den Weg bringen.

Denkste... die endet mitten im Wald... und so fange ich an, mich wieder mal wie John James Rambo durch den Dschungel zu kämpfen. Am Ende ist der Flow wie weggeblasen, Erwin endgültig enteilt und ich weit hinter Markus zurückgefallen, den ich erst am nächsten Verpflegungspunkt wieder einhole.


Nun bin ich endgültig im "ziellosen" Modus angekommen. Ich kann und darf mich aufs Ankommen konzentrieren. Ich fasse Wasser und versuche, wieder auf den Genussmodus umzuschalten. Das hinzubiegen, fällt mir nicht leicht, Die Temperaturen drücken, die Beine schmerzen, da findet sich so leicht kein Schalter.

Doch irgendwie gelingts mir, eine kleine Unterhaltung mit einem Wanderpärchen, dabei das Panorama an den Augen vorbeiziehen lassen, hilft mir. Denn von nun an bin ich alleine unterwegs, im Niemandsland zwischen Erwin vor und Markus hinter mir. Und mir ist klar, dass ich wohl beide nicht mehr auf der Strecke sehen werde. Ich freue mich auf den Grasgipfel des Burrens, seine Wacholderheiden und die Aussicht. Auf Gingen und die Überquerung der B10 freue ich mich nur, weil ich von dort aus recht gut einschätzen kann, welcher Weg noch vor mir liegt. Und der hat es in sich.

Noch einmal müssen wir zwischen Gingen und Geislingen "oben Trauf", ein traumhafter Pfad, der sich teils in Serpentinen hoch zur Kante windet. Das perfekte Teilstück für den Nachmittag, wenn die Sonne genau auf den südwestlich ausgerichteten Hang scheint. Warum gerade dort der "Leckstein" aufgebaut wurde? Auf alle Fälle kostet der Abschnitt noch einmal richtig Kraft und Energie. Beruhigend, dass mich nicht mal mehr die Halbträumer überholen, die mittlerweile mit auf der Strecke sind und für ein wenig Abwechslung sorgen.
Eine letzte Notverpflegung am Stadion in Geislingen. "Not..." deshalb, weil ich hier erkennen muss, dass mein schöner, pinkfarbener Faltbecher noch am letzten V-Punkt darauf wartet, von mir eingepackt zu werden. Einmal noch kurz Luft holen, dann mache ich mcih auf den letzten Streckenabschnitt. Ich freue mich auf das wunderschöne Felsental und spure mittlerweile wieder mit konstantem Tempo aufwärts; ein paar Halbträumer darf ich noch einmal einsammeln und mache kurz vor dem Talende noch eine kurze letzte Trinkpause im Schatten, dann gehe ich ein letztes Mal hinaus auf die Hochfläche. Durch duftende, leuchtende Rapsfelder hinüber nach Weiler und auf die Burgruine Helfenstein. Feierndes Jungvolk jubelt mir zu, als ich in den "Helfensteintunnel" eintauche. Luftballone antlang des Weges zeigen nicht nur die Richtung, sondern vor allem, dass es nicht mehr weit bis zum Ziel ist. In den Genuss mischt sich nun schon Stolz, aber auch Schmerz, gepaart mit der nachlassenden Spannung eine explosive Mischung an Emotionen. Ich schwebe hinunter nach Geislingen, vorbei am Park, ein linker Haken und ich werde von einer kleinen jubelnden Schar im Ziel empfangen. Ankommen - Finish - Gratulationen - Medaille - Hinsetzen - Tine! Tine? Der nicht Empfang im Ziel lässt den Damm kurz brechen, steigert die Freude!

Das war ein Ding! 115 km - naja, für die meisten waren es wohl ein wenig mehr - wollen auf der Alb erst mal gelaufen werden. Kein Wunder, dass am Ende der erfahrene und ortskundige Uli Calmbach die Oberhand vor der heranstürmenden, rund 25 Jahre jüngeren Konkurrenz behalten hat, auch wenn es wohl doch zeitweise recht eng war. Für mich springt ein Platz in den Top 10 heraus und liege damit genau in meiner vorherigen Einschätzung. Alles andere zu erwarten wäre verwegen gewesen. Und darauf hatte ich auch überhaupt keinen Fokus gesetzt.

Ob ich nächstes Jahr wieder komme? Mal sehen. Noch weiß ich nicht, ob ichs auch kommendes Jahr wieder "trauf" habe. Bock habe ich schon heute wieder...
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