Heute ein König? - laufkultur.de

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Heute ein König?

Der Hochkönigman
Hier müsste es links steil hinab nach Dienten gehen! Doch die Markierungen weisen stur den Fahrweg hinunter. Dabei kenne ich den steilen Trail hinunter in den Ort von früher her. Ein zwei Kehren später biegen wir in die breite Staatsstraße ein, die vom Dientner Sattel hinunter in den Ort führt. Gnadenlos ballert die Sonne auf den Asphalt und bringt die Füße in den Laufschuhen zum Kochen. Dabei bin ich längst "gar" von diesem gnadenlosen Stück Weg von Mühlbach hoch über den Schneeberg und wieder hinunter nach Dienten. Was im Winter Skifahrern beim "Schaukeln" irren Spaß bereitet, bedeutet für uns Trailrunner heute stundenlange Anstrengung, Schweiß, Konzentration und Überwindung. Ich bin froh und schon mächtig erschöpft, als ich in Dienten einlaufe, wo mich mein Schatz bereits seit geraumer Zeit sehnlichst erwartet. Ich bin viel später als erwartet.
Das hatte ich so nicht erwartet, auch nicht gestern zur gleichen Zeit, als es schon bei der Radltour nach Zell am See mächtig heiß war. Doch da genossen wir noch den kühlen Fahrtwind, den Schatten am See und die klimatisierten Geschäfte, deren Auslagen wir mit dem gleichen Interesse betrachteten wie die internationalen Gäste des Ortes und die vielen hundert Teilnehmer des internationalen Vespa-Treffens mit ihren bunten Maschinen, die sich in den Gassen des kleinen Städtchens tummeln.

Heute spendet keine Markiese wohltuenden Schatten, selbst das dichte Nadelgehölz hoch zum Schneeberg sorgt nicht für Kühle. Die Hitze steht im Hang, überall knistert es im trockenen Geäst unterhalb des Karbachalmlifts. Kein kühler Bach spendet Flüssigkeit am Skihang, ich sorge in der Toilette am Lift für Nachschub. Fast vier Stunden benötige ich für die gut 15 km von Mühlbach nach Dienten, klettere in der prallen Sonne die 1000 Meter Höhenunterschied hinauf, genieße die Rundumsicht am baumfreien Höhenweg und cruise vorsichtig im steilen Downhill, um nicht zu stürzen. Die Strecke gönnt keine Pausen. Entsprechend träge mein Schritt auf dem heißen Asphalt Dientens.

"Der führende Lokalmathador hat hier krampfgeplagt aufgegeben; dein Freund hat schon in Mühlbach das Handtuch geworfen!" informiert mich Tine. "Aber Du denkst bestimmt nicht an aufgeben, oder?" Das "oder" ist mehr Ausrufezeichen denn Frage. Von einer Sekunde auf die andere sind meine Gedanken daran tatsächlich verflogen. Ich werde auf alle Fälle weiter machen. 11 Stunden, 34 Minuten und 64,5 km bin ich unterwegs, als genau in Dienten der Akku meiner Uhr den Geist aufgibt. Soll ich diese Zeit Makulatur werden lassen und jetzt hinschmeißen? Das wäre schade, die Erlebnisse der letzten Stunden nur noch die Hälfte wert.
Vielleicht lief die Startrunde zu locker, in nicht mal 1 1/2 Stunden hatte ich die 11 km heute Nacht bereits zurückgelegt, als ich an unserer Ferienwohnung vorbei nur wenige Meter später in den Start-Zielraum einbog. Offensichtlich kamen einige andere Starter mit der nächtlichen Markierung nicht zurecht, ich selbst hatte überhaupt keine Probleme. Das im Scheinwerferlicht leuchtende Kreidespray konnte ich einwandfrei und immer erkennen, klar dass man im Hin und her des Aufstiegs acht geben musste, nicht gelegentlich den Abzweig zu verpassen. Aber das ist normal. Heftiger empfand ich den Höhenweg von der Erichhütte hinüber zum Arthurhaus. Das ständige Auf und Ab des technisch anspruchsvollen Wanderwegs bereitete mir mehr Probleme als gedacht, obwohl es da längst hell war. Ich war davon ausgegangen, dass ich gerade auf diesem Teilstück schneller voran kommen könnte. Doch letztendlich liege ich in Dienten gar nicht so schlecht in der Zeit, konnte ich doch nicht absehen, dass ich statt der angegebenen 59 km bis Dienten letztendlich knapp 65 zurücklegen würde müssen. Streckenmessung ist kompliziert im Gebirge und erhebliche Abweichungen der verschiedenen Messsysteme voneinander nicht ungewöhnlich. Hangneigung und die vielen engen Windungen der Wanderwege sind dafür verantwortlich.

Doch ein ordentlicher Verpflegungspunkt hätte zwischen Maria Alm und dem Arthurhaus gut getan. Begründet wurde mir die weite Distanz zwischen den V-Punkten vom Veranstalter hinterher mit den von der ITRA formulierten Anforderungen an ein Trailrennen. Da muss wohl erst die Zukunft zeigen, ob diese Anforderungen mit denen der Mehrheit der Läufer konform sind. Auch in Maria Alm wäre es aus meiner Sicht klasse gewesen, wenn dort etwas mehr Kohlehydrate angeboten worden wären, Nudeln vielleicht, zumindest etwas, was nicht so sehr am trockenen Gaumen hängen bleibt und leicht verdaulich ist. Aber vielleicht ist das Rennen eher für "Wettkampftypen" ausgelegt als für den "Genussläufer", die Philosophien mögen ja durchaus unterschiedlich sein.

Mein Schatz hat es verdient, dass ich mir in Dienten eine längere Pause gönne, doch ehrlich gestanden habe ich sie auch dringend nötig. Mit hängendem Kopf sitze ich am knappen Absatz des Bordsteins und lasse den Kopf hängen. Meinem Partner, mit dem ich den Abstieg vom Hochkeil nach Mühlbach unterwegs war, mit dem ich gemeinsam am Grashang abgerutscht und gestürzt war, wirft gar das Handtuch. Er wünscht mir noch viel Erfolg, ehe es für mich dann doch weiter geht. Klingspitz und Hochkasern liegen vor mir, danach geht es auf über 2000 Meter zum Dach der Runde, dem Hundstein. Die Hitze lässt nach, die Sonne steht jetzt nicht mehr so brutal im Hang wie vorhin. Doch ich bin ganz alleine unterwegs, auch wenn die Strecke der kürzeren Marathonrunde jetzt ebenfalls hier verläuft.
Ein kurzes Stück verlaufe ich mich, suche vergeblich nach dem richtigen Weg, gebe die Suche dann aber auf und entscheide mich für einen etwas längeren Bogen, der mich wieder zurück auf die Strecke führt. Zum Glück kenne ich die Ecke hier ein wenig, denn von nun an bin ich ja ohne gps-Unterstützung unterwegs und auf die Verlässlichkeit der Markierung angewiesen. Über die Lettenalm geht es nach oben, die schöne Reicheralm lassen wir links liegen, ehe der Gipfel der Klingspitz vor mir auftaucht. Wie kleine Käfer sehe ich die vor mir herlaufenden Trailrunner den steilen Schlussanstieg nach oben krabbeln. Das sieht nicht nur aus der Ferne mächtig anstrengend aus, es ist es auch, wie ich nur wenig später am eigenen Leib erfahren darf.

Auf knapp 2000 Meter bin ich jetzt,also praktisch schon auf der Höhe, so ist der Rest des Weges bis zum Steilabstieg nach Maria Alm gerade mal noch als wellig zu bezeichnen und doch hat er es in sich. Klingspitz und Hochkasern gehen fast fließend ineinander über, doch dann wird der Blick auf den Hundstein mit dem markanten Statzerhaus genau auf dem Gipfel sichtbar und vor allem der Weg dorthin. Auf grasigem Grat geht es erst hinunter, dann zum Ochsinger hoch, über ein paar Schneefelder wird dann gequert bis zum Fuß des markanten Felsdachs des Hundsteins und danach die letzten Meter hoch zum Gipfel. Ich bin müde, mehr im Kopf denn im Körper. Ich brauche eine Pause, lege mich für ein paar Minuten ins warme Gras, genau so, dass ich nicht wirklich einschlafen kann. Wenig später mache ich mich mit frisch erholtem Kopf auf den Weg, diesen in "bissgerechte Happen zerteilt": Erst mal hinunter bis zum Sattel, dann hoch bis zum Abzweig, dann rechts über die Schneefelder und zuletzt bis zum Statzerhaus. Die Gedanken immer nur am entsprechenden Teilstück, nie weiter denken, klappt es recht gut. Erst wenn ich eine Etappe bewältigt habe, konzentriere ich mich aufs nächste Stück.
Ich kann die gewöhnungsbedürftige Cola des Sponsors nur noch mit Mühe hinunterstürzen, der eigenwillige Geschmack ist nicht der meinige, doch trotzdem rüste ich mich damit für die verbleibenden 16 Kilometer. Die angeschmolzenen Würstchen und Käsestücke bekomme ich schon gar nicht nicht hinunter, aber das spielt für den letzten Abschnitt sowieso keine Rolle mehr. Ich gönne mir noch eine letzte längere Pause, bevor ich mich mit neuem Elan auf die Socken mache. Im langsamen Trab gehts hinunter vom Hundstein. Doch es geht nicht nur bergab. Schönwieskopf und Schwalbenwand liegen noch vor dem Abstieg. Das bedeutet zwar kurze, doch knackige Aufwärtspassagen, nach mehr als 15 Stunden wohl für kaum jemanden mehr ein Vergnügen. Dieter - also Namensvetter von mir - ist gerade genauso schnell wie ich, gemeinsam wollen wir das Ding zu Ende bringen. Wir bilden ein geniales Team, denn immer dann, wenn einer von uns Beiden gerade eine kleine Schwächephase durchläuft, springt der Andere in die Bresche, übernimmt die Führung und hält so das Tempo leidlich hoch. Leicht fallen die 1200 Höhenmeter bergab nicht, den Weg dorthin schaffe ich nur durch Willenskraft. Der Körper wäre wohl heute stärker, doch mein Kopf hat mich heute über weite Strecken ausgebremst. Lähmt mich das DNF im vergangenen Jahr, als ich beim Südtirol Ultra-Skyrace entkräftet aufgeben musste, oder habe ich nur einen schlechten Tag erwischt, keine Ahnung. Klar, oben bleiben am Berg wäre auch keine Lösung, doch die Lust aufs Rennen und das Finish stellt sich nicht mehr ein und bringt mich somit auch nicht ins Tal.

Vielmehr freue ich mich nur auf meinen Schatz, der im Ziel wohl schon seit Stunden auf mich wartet. Auch wenn sie mich in Dienten erlebt hat, ahnt wie wohl kaum etwas vom Kampf hier oben. Ich bin erleichtert, einfach nur erleichtert als wir in die Vororte von Maria Alm einlaufen, ein Gefühl, dass mir im Zusammenhang mit einem Finish bisher eher fremd war. Das ist wohl auch der Grund, warum mir der Bericht dieses mal so schwer fiel, weshalb ich den ersten fertigen Entwurf über Bord gekippt habe, die Arbeit ruhen lassen musste und wieder völlig neu beginnen. Der gemeinsame Zieleinlauf mit Dieter tut gut, wir sehen uns an und fühlen wohl beide das Gleiche. Es ist vollbracht, vorbei, mehr nicht!
Nur kurz bleibe ich im Zielbereich, mich zieht es in die nahe Ferienwohnung, freue mich aufs Duschen. Die angesetzte Siegerehrung verzögert sich, es dauert noch lange, bis die ersten 3 Frauen fürs Podium im Ziel sind. Ein Gewitter und einsetzender Regen sorgen dafür, dass ich später auch nicht mehr zurückkomme. Mir ist einfach nicht nach Feiern zumute. Dabei gehts mir körperlich gut, gehe am nächsten Tag gemütlich wandern, sehe mir vom Gipfel des Langeggs die Strecke über den Hundstein aus der Ferne an. Ich schließe Frieden mit dem Rennen, die Betrachtung aus der Distanz tut gut.
Selbst lange nach dem Rennen fällt mir ein gerechtes Fazit noch schwer. Fest steht ist, dass der Hochkönigmn ein überaus anspruchsvolles Rennen ist. Vieles bei der Premiere war gut und hat mir gefallen, nicht alles war perfekt und hätte auch jetzt schon anders oder besser gelöst werden können. Mehr dazu in der Kurzbeschreibung. Die Strecke ist grandios, hat echtes Potential für einen Klassiker und die Unterstützung der Region ist auch vorhanden. Ein wichtiger Faktor, der in Deutschland bei vielen Rennen leider fehlt. Ob ich wieder komme? Vielleicht! Das wird die Zeit zeigen. Im Juli bin ich ja zumindest wieder in der Nähe, wenn es gilt, Österreichs höchsten Gipfel zu umrunden, beim Großglockner Ultra-Trail!
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