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100 Kilometer und 4500 Höhenmeter durch die Bergwelt des Chiemgaus

Sie: "Kannst Du mir mal sagen, was Ihr hier so macht?"
Ich: "Wir laufen den Chiemgau Ultra über 100 km!"
Sie: "Dann stimmt das also, was die anderen da vorne uns alles erzählt haben!"


Ziel des Chiemgauer 100er

Diese kurze und doch viel sagende Unterhaltung führe ich mit zwei netten Wanderinnen kurz vorm steilen Anstieg zur Hörndlwand. Als ich Ihnen auch noch erkläre, dass einige bereits am Vortag gestartet waren, um noch eine zusätzliche Schleife von 66 km zu absolvieren, verlieren die Beiden vollkommen die Fassung.

Und doch hatten sich an diesem sonnigen Julitag 79 dieser "Verrückten" (100km: 66; 100 Meilen: 13) versammelt, um zusätzlich zur besagten Strecke auch noch knapp 4500 Höhenmeter auf alpinen Pfaden zu laufen. Eine Herausforderung, die letztendlich nur 27 innerhalb des Zeitlimits von 18 bzw. 32 Stunden bewältigen werden.

Doch der Reihe nach!

Pünktlich am Freitag, den 13. Juli um 17 Uhr versammeln wir uns zum Abholen der Startunterlagen und Briefing im Waldstadion in Ruhpolding. Als Einziger fehlt Organisationschef Giselher "Gi" Schneider. Er ist noch auf der Strecke unterwegs. Sturm Kyrill hatte vor Monaten weite Teile der Strecke unpassierbar gemacht und nur Verhandlungen bis zur letzten Minute und der Kooperationsbereitschaft der Forstämter ist es zu verdanken, dass wir letztendlich doch die Originalstrecke laufen können. So kündigt Giselher uns noch eine Umleitung an, die wir dann am kommenden Morgen doch nicht werden laufen müssen.

 
links: 2-facher Death-Valley-Sieger Tom Possert; rechts: Gi Schneider beim Briefing

Wir vertreiben uns die Wartezeit bei der leckeren Nudelparty und nutzen die Gelegenheit, auf unsere Landkarten die Route des kommenden Tages einzuzeichnen.

Mit den neuesten Infos kommt dann auch Giselher und macht uns nun beim Briefing mit den Problemen der Strecke vertraut. Beruhigt uns die angekündigte gute Markierung noch, dämpfen die spärlich eingerichteten Verpflegungsstellen (6 an der Zahl, dazu wenige zusätzliche Wasserstellen an den Kontrollpunkten) bei den zu erwartenden hochsommerlichen Temperaturen unsere Stimmung beträchtlich.

Nach dem Briefing geht’s ab zu meiner Unterkunft, einem einfachen Bauernhof direkt an der Strecke. Bei km 28 werde ich morgen hoffentlich noch guten Mutes wieder vorbei kommen.


Christianes Bauernhof; auf der Straße ist bereits der Weg für morgen markiert

Chefin Christiane ist eifrig am Planen und Zimmer zuweisen. Es sind ein paar Gäste mehr geworden als Betten in den Zimmern stehen. So erhalte ich ihr Büro zugewiesen, in dem ein gemütliches Bett steht. Das Zimmer teile ich mir ausschließlich mit einer harmlosen Heuschrecke, sicherlich ein Vorteil, da sie - im Gegensatz zu anderen Schläfern in den Mehrbettzimmern - weder schnarcht noch sonst irgendwie stört.

Jetzt noch schnell die Versorgungsbeutel gepackt, Verpflegung, Sonnencreme wegen der zu erwartenden starken Sonneneinstrahlung, ein Wechselshirt und als Highlight für die Verpflegung bei Km 74 ein Paar Laufschuhe und frische Socken für den folgenden Aufstieg auf den Hochfelln.

Ich schlafe wider Erwarten gut und fest, doch nur zu kurz, denn schon um 3 Uhr morgens klingelt mein Wecker, ist doch der Start bereits um 5 Uhr angesetzt. Im Treppenhaus begegnet mir Christiane, die uns Läufern so früh am Morgen ein leckeres und reichhaltiges Frühstück servieren wird. Danach geht alles schnell. Ab ins Auto und hin zum Start, Laufschuhe angezogen, und die Verpflegungsbeutel in die passenden Kisten gepackt.

Start um 5 Uhr morgens

"Noch 5 Sekunden!" und schon setzt sich die kleine Schar der Läufer in Bewegung. Ich schaffe nicht mal mehr ein Photo vom Start. So setze ich mich ans Ende des Feldes und trabe los. Wann, wie und in welchen Zustand werde ich das Ziel erreichen? Offizieller Zielschluss wird um 23 Uhr sein, eine Zeit, die es dann erforderlich machen wird, den steilen und nicht ungefährlichen Abstieg vom Hochfelln im Dunkeln anzutreten. Dies möchte ich auf alle Fälle vermeiden.

 
Briefing morgens kurz vor 5

Trotzdem beginne ich langsam, Kräfte sparen, komme was wolle, lautet heute meine Devise! So verwundert es nicht, dass mir schon nach wenigen hundert Metern die Spitze des Feldes enteilt. Trotzdem bedaure ich es nicht, dass ich nicht in der Lage bin, um den Sieg mitzukämpfen.

Lieber nutze ich die Gelegenheit, meine Mitläufer kennen zu lernen. So kann ich zum Beispiel dem frisch gekürten Deutschen Meister im 24-Stunden-Lauf, Florian Reus, zu seinem Titel gratulieren. Und ich lerne Jürgen Schoch kennen, ein erfahrener Mann bei schwierigen Landschaftsläufen und zudem Statistiker beim DUV. Mit ihm werde ich viele Stunden gemeinsam unterwegs sein. Wir harmonieren gut im Tempo und vor allem in den ständigen Wechseln vom Lauf- in den Gehschritt und zurück.


rechts Werner Selch; dahinter Florian Reus; in weiß: Jürgen Schoch
 

Noch habe ich Muse zum photographieren, einen Blick für den Sonnenaufgang oder die vom Nebel überzogenen Wiesen. Wie wird es in ein paar Stunden sein?


Der morgentliche Nebel lässt noch nicht erahnen, dass uns heute ein heißer Tag bevorsteht


Aufmerksame Beobachterin des Geschehens

Unerwartet schnell erreichen wir die Kontrollstelle an der Kaitelalm. Erfreut nehmen wir die angebotenen Getränke an.

Doch ich halte mich nicht lange auf, noch bin ich frisch und die erste richtige Verpflegungsstelle am Stadion wartet schon. Nur noch 9 km oder ca. eine Stunde, die Dimensionen zum gewöhnlichen Marathon verschieben sich!

Um 8 Uhr morgens erreiche ich das Stadion (Km 26). Die erste Runde um den Rauschberg ist absolviert. Doch noch liegen die richtigen Schwierigkeiten vor mir.


nach 26 km noch frisch und munter

Kurz danach komme ich an meiner Unterkunft vorbei, dem Drang zu dieser noch frühen Stunde wieder das Bett aufzusuchen, widerstehe ich. Ein schnelles Bild, kurz gewunken und ich bin vorbei. Ich habe der ersten Versuchung widerstanden. Wird mir das auch bei den Abkürzungsmöglichkeiten für 66 und 80 km gelingen?

Zeit zum Nachdenken bleibt nicht, denn jetzt geht’s erst richtig los. Zunächst steht der Anstieg zum Unterberg an. Der Lift ist nicht im Betrieb, uns bleibt nur die voll in der Sonne liegende und extrem steile Skipiste.

 

Die "Todesgefahr" durch die Forstarbeiten ignorieren wir und vertrauen aufs Gi`s Verhandlungsgeschick. Ein Wink zum Kontrollposten bei km 31 und hinab geht’s zur Brandner Alm am Fuße der Hörndlwand.


Km 31 ist erreicht

Die Hörndlwand ist erreicht. Für die anstrengenden 500 Höhenmeter werde ich durch einen herrlichen Blick auf die umliegende Bergwelt entschädigt. Im Hintergrund strahlt schneebedeckt der Großvenediger, 5 Minuten Zeit zum Genießen müssen sein.

Und dann geht’s schon wieder hinab auf sehr steilem und rutschigem Terrain zur 2. Verpflegung bei km 40. Als ich die erreiche, zeigt meine Uhr schon 6 Stunden Laufzeit... und das für einen knappen Marathon.

Die Verpflegung am Röthelmoosbrunnen lässt keine Wünsche übrig. Ich koste von allem etwas, esse aber insgesamt eher wenig, eine gute Strategie, wie ich am Abend feststellen werde.


Blick von der Hörndlwand zum Großvenediger

Der weitere Weg, den ich nun zusammen mit Jürgen Schoch angehe, ist angenehm zu laufen. Ein mäßig ansteigender breiter Fahrweg macht das Laufen bequem. Ein Mountainbiker überholt uns und setzt sich vor uns. Der Weg wird steiler, dem Mountainbiker gelingt es nicht, uns abzuschütteln. Wir haben Lust, ihn wieder zu überholen, lassen aber angesichts des noch weiten Weges davon ab.

Wir überqueren den Hochsattel und erreichen die Hinteralm. Hier besteht die Möglichkeit, auf 66 km zu verkürzen. Ich fühle mich gut, also geht’s weiter.

Die kommenden Kilometer sind unspektakulär, auf leicht abfallendem Forstweg gewinnen wir Kilometer um Kilometer und erreichen die Verpflegung in Kohlstatt (km 54), eine willkommene Abwechslung.

Die zweite steile Skipiste wartet auf uns, Birgit Bruder, die wir auf dem Weg bergab hinter uns gelassen hatten, ist mittlerweile wieder an uns vorbei. Wir holen sie wieder ein und laufen bis km 75 nun zu dritt. Birgit wird später als Siegerin der Damenkonkurrenz nur wenige Minuten nach mir ins Ziel kommen.

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"He attacks without warning!"

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