
Frauen sind eitel.
Männer? Nie!

Sind Männer eitel?
Der Briefträger hat Post für mich
dabei. Ein Umschlag in Fotogröße. Das könnten die Zielfotos vom
Obermain-Marathon sein. Tatsächlich. Breit grinsend und entrückt laufe
ich dem Zielband entgegen. Aber irgendwie sehe ich darauf gar nicht gut
aus. Der Querläufer – nur mit seinem Selbstbewusstsein gekleidet. Ich
betrachte mich im Spiegel. Nein, Männer sind nicht eitel. Frauen sind
es. Alle Frauen sind eitel. Das sagte schon Kurt Tucholsky. So stehe ich
vor unserem dreiteiligen Spiegel. Die Läuferfrau steht hinter mir und
schüttelt den Kopf. Unverständnis blitzt aus ihren Augen. Ein hämisches
Grinsen im Gesicht. Ein weiterer Blick in den Spiegel verrät mir, dass
vor dem nächsten Fotofinish etwas passieren muss. Vor jedem Wettkampf
ist es das Gleiche. Ausrüstung, Kleidung und Schuhe müssen stimmen.
Natürlich gehören auch gewisse Accessoires, wie Sonnenbrille und
Stirnband dazu. Das richtige Outfit ist genauso wichtig, wie der
persönliche Trainingsplan. Das habe ich doch irgendwo bei Steffny oder
Greif gelesen. Oder etwa nicht?
Adonis steht also vor dem Spiegel und betrachtet sein Profil. Täglich
grüßt das Murmeltier. Die Läuferfrau will kommentieren. Ich weiß schon
vorher was kommt: Ein Hochziehen der Augenbrauen und eine beißende
Bemerkung. „Röttenbach. 11.00 Uhr. Sonnenschein. Die Frisur sitzt!“
Meiner Frau sind eben die Rituale im Sport fremd. Im Fußball sollte der
Mannschaftskapitän stets als erster das Spielfeld betreten. Nicolas
Kiefer tippt vor jedem Ballwechsel mit dem Schläger die Grundlinie an
und bei Christiano Ronaldo muss das Outfit bis zur kleinsten Haarsträhne
stimmen.
Später alleine, mustere ich wütend mein Spiegelbild: es ist nicht
strahlend, es ist nicht anders, es ist so … so alltäglich. Etwas stimmt
nicht. Das Zielfoto vom Untertage-Marathon war auch nicht das Gelbe vom
Ei. Es muss sich etwas ändern. Unzufrieden studiere ich den Anzeigenteil
der Tageszeitung.
Da entdecke ich eine unscheinbare Annonce. Ihre Anzeige springt gleich
ins Auge. Mehrmals lese ich ihre Zeilen. Eine andere Frau? Was würde des
Querläufers Gattin dazu sagen? Aber….Sie gefällt mir! Sie macht mich
neugierig. Sorgfältig notiere ich die Telefonnummer und verstecke den
Zettel. Soll ich sie anrufen? Ja, genau das will ich tun. Deshalb wähle
ich kurz entschlossen ihre Nummer. Lege aber wieder auf.
Tage vergehen, in denen ich schwanke. Soll ich, oder soll ich nicht?
Irgendwann bin ich hundertprozentig sicher, dass ich hin will. Ich rufe
an und erzähle ihr von meinen Wünschen. Sie hört zu. Schweigt. Dann
bricht sie das Schweigen: „Komm morgen gegen sechzehn Uhr und der
Nachmittag gehört dir!“ Es folgen zweiundzwanzig Stunden warten. Ich
frage mich X-Mal, ob ich das wirklich machen soll. Es war noch Zeit den
Termin zu vergessen. Einfach nicht erscheinen.
Doch ich gehe hin!
Pünktlich sitze ich vor ihr. Sie schenkt mir ein Lächeln, welches mir
beinahe die Sprache verschlägt. Und dann beginnt sie mit der Behandlung.
Wahnsinn! Nach einer gefühlten Marathonlaufzeit holt mich ihre Stimme in
die Realität zurück.
Leider ist es vorbei. Langsam öffne ich meine Augen und schaue in den
Spiegel. Der Querläufer, der mir jetzt entgegenblickt, wirkt anders –
irgendwie fremd. Aber er gefällt mir gut, ja sehr gut sogar. Er sieht
frisch, windschnittig und schnell aus.
Sie, die Hairstylistin, hat aus meinen mausgrauen, langen Haaren eine
grelle, glänzende Kurzhaarfrisur gezaubert. Jetzt war ich so ganz
Anders! Die langen Haare waren weg.
Siegessicher lächle ich. Auf dem nächsten Zielfoto sehe ich wieder
topfit aus. Auf zu neuen Bestzeiten!
Run happy and smile!
Euer Querläufer
Jochen Brosig
Röttenbach, den 14. April 2011
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