Mundraub - ein "laufendes Verfahren beim
Knastmarathon

Querläufer Jochen im Knast
November 2009. Typisch Mann. Ich
hatte wieder einmal nicht richtig zugehört. Genau an dem Tag, als die
Läuferfrau einen Familienausflug in den Tiergarten geplant hatte, war ich
für den LGA-Marathon angemeldet. Als Mann war ich mir wie immer keiner
Schuld bewusst. Es war doch alles abgesprochen, oder? Aber musste die Strafe
gleich so hart ausfallen? Des Querläufers Frau hatte bei den Ideen zum
Laufen zwar schon öfters mit dem Bezirkskrankenhaus gedroht. Doch nach
diesem Vorfall im November letzten Jahres ging sie sogar einen Schritt
weiter. Dieses Mal hieß es: Ab in den Knast! Ordnungshaft für einen Tag. Sie
meldete mich beim 4. Darmstädter Knastmarathon an.

In Fünfergruppen erfolgt der Einlass.
Das
Strafvollzugsgesetz regelt in Deutschland den Vollzug der Freiheitsstrafe
und Maßnahmen zur Besserung und Sicherung. Da muss sich also meine
Läuferfrau Gedanken gemacht haben. Der Gefangene soll befähigt werden, sich
in das Leben in Freiheit einzugliedern (§ 3). Klar, denn echte schwedische
Gardinen gibt es nur in dem Möbelhaus mit den 4 Buchstaben. Da sage ich aber
ganz klar: Ich laufe lieber hier meine 24 Runden als einmal mit meiner
Läuferfrau durch IKEA zu bummeln. Shoppen am Samstagnachmittag ist für mich
befristeter Vollzug.

Umziehen, einlaufen, gewöhnen an die
beklemmende Umgebung!

Helmut und ich stehen
vor dem Haupttor. Wegen der Sicherheitsvorkehrungen werden wir in
5er-Gruppen eingelassen. Für den Personalausweis bekommen wir ein
neonfarbenes Bändchen an das Handgelenk. Drinnen sieht es ganz anders aus,
als ich es mir vorgestellt habe. Kein Knast mit Innenhofrunde – 100 m im
Quadrat. Eher wie ein Kasernenhof. Alles ist perfekt organisiert und sehr
professionell. Umkleiden, Duschen und eine Kleiderabgabe. Getränkestand,
jede Menge Wärter und Häftlinge aus dem Laufprojekt. Doch es bleibt keine
Zeit lange zu quatschen. Der Sprecher ruft zum Start. Die internen und
externen Läufer vermischen sich. Wir warten gespannt auf die Startfahne.
Logisch, im Knast gibt es keinen Startschuss.

Geschossen wird beim Start hier nicht...
eine Flagge eröffnet das Rennen.

Führungsrad

Entlang der Mauer
Es geht los. Die Masse
zwängt sich durch die erste Rechtskurve. Vorbei an Gefangenen die uns hinter
Zäunen anfeuern. Wieder am Start-, Zielbereich angekommen laufen wir vorbei
an der Verpflegungsstation. Jetzt feuern uns Insassen ohne Zaun neben der
Laufstrecke an. Weiter geht es, den Sportplatz zur rechten und „The Wall“,
die Gefängnismauer, zur linken. „We don´t need no education!“ Die Mehrheit
der Besucher hält sich an einer Spitzkehre auf. Tolle Stimmung!

Für Stimmung ist gesorgt!

24 mal 1,75 Kilometer,
da bekommt Vincent van Gogh´s „Runde der Gefangenen“ eine ganz neue
Bedeutung. 24 Runden heißt auch 24 Verpflegungspunkte anlaufen. Ein Delikt,
dass heute sicher nicht unter Mundraub fällt, denn die Verpflegung ist im
Startgeld enthalten.

Mundraub oder legale Mitnahme?

Heiß ist es heute.

Und weiter gehts; 24 Runden sind zu
absolvieren.
Häftlinge hinter
vergitterten Fenstern – schwedische Gardinen. Für die Entstehung dieses
Ausdrucks gibt es folgende These: Dem schwedischen Stahl wurde eine sehr
gute Qualität nachgesagt. Deshalb wurde er für das Vergittern von
Gefängnisfenstern benutzt. Die schweren Fälle dürfen anscheinend nicht in
Kontakt mit uns treten. Sie rufen uns hinter ihren Gitterstäben zu. Bei 25 –
28 Grad haben sie heute Nachmittag einen guten, weil schattigen, Platz.
Trotzdem möchte ich nicht mit ihnen tauschen.

War der Fluchtversuch vergeblich?

Der Querläufer hinter schwedischen Gardinen.
Diesen perfekt
organisierten Marathon kann ich nur jedem empfehlen.
Run happy and smile!
Euer Querläufer
Jochen Brosig
Röttenbach, den 26. April 2010

Füße hoch statt Hände hoch!
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